Jugendverbände und Unternehmen

(aus: Schlaglichter Nr.47/00)

Die Zukunft - ein Horrorszenario für die Jugendverbandsarbeit ????

"Pfadfinder im Jahr 3000" so hieß das Motto der Abendveranstaltung bei den Stufenkonferenzen im Januar 2000 in Gernsheim. Und tatsächlich waren viele futuristisch anmutende Gestalten im möglichsten und unmöglichsten Outfit vertreten. Glitterkluften aus Aluminum, stark durchscheinende Hemden und Hosen aus Klarsichtfolie und vieles mehr war dort zu sehen. Doch was mich am meisten verwunderte, war die auffallend große Zahl an Menschen, die ihre Kluft mit Werbung versahen. Da prangte über der Weltbundlilie das goldene "M" einer großen und bekannten Fast-Food-Kette, das Emblem eines weit verbreiteten Nahrungsmittelhändlers klebte nahezu Hand in Hand mit der DPSG-Lilie am Arm, die blaue Raute eines Ölkonzerns paßte, farblich bestens abgestimmt, neben den Wolfskopf, selbst die Initialen unseres Gründers BP wurden, in Anlehnung an einen Erdölliferanten, in grün und gelb gehalten und auf die Kluft genäht.

Sicherlich war diese Werbekluft größtenteils als witziger Gag gedacht. Dennoch muß die Frage erlaubt sein, was die versteckte oder unbewußte Botschaft der Werbekluftträger zu bedeuten hat. Was, so fragte ich mich damals, hat das Tragen der Werbekluft zu bedeuten? Sollte das heißen, in ein paar Jahren wird die Kluft wirklich so aussehen, weil auch wir uns nicht dem allgemeinen Trend entziehen können? Wie stehen die Werbekluftträger zu dieser Entwicklung? Positiv? Oder eher negativ? Wollten sie damit sagen: Seht her, wenn wir uns dem nicht entgegenstellen, wird unsere Kluft so aussehen?

Diesen Gedanken mal weitergesponnen, könnte die Zukunft doch tatsächlich ganz im Zeichen der Werbung mit Großkonzernen stehen: Die Fast-Food-Kette hat den McScout im Angebot, ein Burger mit Brötchen in Form eines Pfadfinderhutes, der Mineralölkonzern vertreibt Pfadi-Sprit, der mit dem Segen des Bundeskuraten versehen ist oder der Lebensmittelhändler gibt einen Rabatt auf seine Produkte, wenn dessen Logo im Zeltlager über unserem Banner im Winde weht..., die Liste der Möglichkeiten in diesem Horrorszenario ließe sich freilich endlos weiter führen.

Das Projekt Jugendverbände und Unternehmen des BDKJ

Eine engere Kooperation zwischen Jugendverbänden und Unternehmen versucht zur Zeit der BDKJ Diözesanverband Mainz zu initiieren.

Der Auslöser für das Zustandekommen des Projekts Jugendverbände und Unternehmen war eine Umfrage, die mit der vielsagenden Überschrift "Pfadfinder sind die besseren Manager" 1997 gestartet wurde. Dabei wurden Personalverantwortliche bei Unternehmen gefragt, ob und wie sie ehrenamtliches Engagement bei der Einstellung berücksichtigen. Außerdem sollten sie darlegen, welche Qualitäten und Kompetenzen sie bei Mitgliedern in Jugendverbänden, als auch der DPSG, besonders schätzen1.1

Die Resonanz auf die Umfrage war außerordentlich gut. Daraufhin stellte man sich im BDKJ die Frage, wie man darüber hinaus mit Unternehmen kooperieren könne. Weit davon entfernt sich Unternehmen blindlings vor die Füße zu werfen, wurde der BDKJ von der Überlegung geleitet, daß Unternehmen eine gesellschaftlich wichtige und einflußreiche Gruppierung darstellt, die es gilt für eine echte und enge Zusammenarbeit zu gewinnen, wobei unter Zusammenarbeit zunächst ein intensives Kennenlernen des Kooperationspartners gemeint ist, ein Kennenlernen, das sich auf die Ziele, gemeinsame Interessen, Arbeitsweisen und -stile, wie auf die Verbands- bzw. Betriebskultur erstreckt. Außerdem sollen die Kooperationsfelder Sponsoring durch Geld und Sachmittel sowie der Austausch von Know-How bei der Kooperation von Jugendverbänden und Unternehmen berücksichtigt werden.

Das Projekt Jugendverbände und Unternehmen - Chance oder Risiko für die DPSG?

Klingt ja ganz brauchbar, werden nun einige sagen, doch was heißt das nun für die DPSG? Ich denke, daß es sich lohnt über die Chancen und die Risiken, die eine Kooperation mit einem Unternehmen bietet, weiter nachzudenken. Daß eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen nicht unproblematisch ist, sollte jedem klar sein.

Die DPSG - Schutzraum für Kinder und Jugendliche

Seit jeher bot die DPSG Kindern und Jugendlichen einen Schutzraum für deren Wünsche, Visionen und Träume. In zunächst bewußter Abschottung zur Gesellschaft konnten und können unsere Gruppenkinder ungestört ihre Fähigkeiten entwickeln, ihre Ideen spinnen und umsetzen und so Kompetenzen erwerben. Diese Sphäre der Sicherheit ist ungeheuer wichtig, denn aus Schutzraum heraus lernen unsere Kinder und Jugendliche ihre Welt zu sehen und beurteilen und schließlich auch zu verändern. Sollte durch eine Zusammenarbeit ein Unternehmen in diesen "Intimbereich" unseres Verbandes vordringen, gewährte die DPSG den Schutz nicht mehr, der so wichtig für die Entwicklung unserer Kinder nötig ist. Ein zweiter Gedanke dazu ist eng mit dem Schutzraumgedanken verknüpft. Es wäre zu fragen, ob wir den Trend zur kommerziellen Erschließung aller Lebensbereiche unbedingt mitmachen müssen. Ist unsere Aufgabe, Kinder und Jugendliche zu einer kritischen Weltsicht zu erziehen, überhaupt noch möglich Fusionitis und Globalisierung - wer blickt da noch durch?

Als Pfadfinder sind wir einer gewissen Tradition verpflichtet, die wir nicht einfach abstreifen können wie eine alte Unterhose. Die Grundlinien unserer Lebensauffassung, wie sie in der Ordnung unseres Verbandes dargelegt werden, sowie die Grundsatzbeschlüsse der DPSG sind ein gültiger Maßstab für die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Ich denke, soweit herrscht auch Konsens im Verband. Es verbietet sich einfach von selbst, daß wir als DPSG mit einem Rüstungsunternehmen, der Tabakindustrie, Atomstromlieferanten, usw. kooperieren. Wer kann jedoch heute noch sagen, ob nicht ein kleines Unternehmen Teil eines Großkonzerns ist, der für unsere Begriffe stark belastet ist? Wären wir als DPSG nicht besser dran, wenn wir uns erst gar nicht an einer Kooperation mit einem Unternehmen beteiligten?

Quo vadis nun, DPSG?

Die oben aufgeworfenen Bedenken sind in jedem Fall absolut ernst zu nehmen und sollen auch im folgenden nicht entkräftet werden. Dennoch läßt sich fragen, ob die oben beschriebene Sicht der Dinge ebenfalls nicht zu einfach, ja geradezu naiv gehalten ist. Zu ermitteln sind nämlich die Gründe und Ursachen für den Boom, den das Fundraising in den letzten Jahren genommen und welche Konsequenzen es letztlich hat:

Fundraising- ein Kind aus der Not geboren

Das Sponsoring, der Tausch Geld durch Gegenleistung, boomt doch nur in den letzten Jahren, weil sich Kirche und öffentliche Hand mehr und mehr aus ihrer sozialen Verantwortung zurückziehen. In Zeiten vermeintlich leerer Kassen, werden eben nur diejenigen Investitionen getätigt, die eine gewisse Rendite versprechen. Präventionsarbeit, also Vorbeugung vor Sucht, Gewalt u.v.m., wie wir sie in der DPSG seit Jahren betreiben, fällt dann bei der Förderung leicht heraus. Natürlich wäre es auch mir lieber, Geld von Kirche und Staat zu bekommen, auf das wir sogar Rechtsanspruch hätten. Die Aufgabe von Sponsoring durch ein Unternehmen muß daher sein, die Lücke, die Kirche und öffentliche Hand durch die zurückgehende Fördermittel hinterlassen haben, zu schließen.

Unternehmen mit sozialer Verantwortung? -Ja, bitte!

Im Zusammenhang mit Unternehmen wird sehr oft der Begriff "unsozial" gebraucht. Ein Unternehmen verhält sich unsozial, wenn es Leute entläßt, wenn es die Umwelt verschmutzt, usw.. Allzu leicht werden dann die Sünden eines Unternehmens auf alle anderen übertragen. Mit der Bezeichnung "unsozial" einher geht oft der Appell an das Unternehmen sozialer zu werden. Wenn sich ein Unternehmen dann bereit erklärt, seinen sozialen Pflichten nachzukommen, indem es unsere Arbeit als DPSG unterstützt, dann ist das doch höchst wünschenswert. Daß der Starke den Schwachen schützt und unterstützt, dafür treten doch gerade wir als Pfadfinderinnen und Pfadfinder ein. Wir sollten Unternehmen regelrecht auffordern sozialen Institutionen finanziell unter die Arme zu greifen!

Ein Blick hinter die Kulissen - von wem Reden wir eigentlich?

Ich denke, es gibt einen großen Fehler, der bei der Beurteilung von Unternehmen gemacht wird: Zu oft wird vergessen, daß ein Unternehmen letztlich aus Menschen besteht, Menschen wie unsere Eltern, Verwandte, Bekannte oder unseren Mitgliedern selbst. Menschen die auch ein gesundes Gewissen haben, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Firma und ihrer Arbeitsplätze machen, die Verantwortung für ihre Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und den Betrieb als ganzes wahrnehmen. Gerade Firmen mit sozial engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind es doch, die an einer Kooperation mit der DPSG überhaupt interessiert sind. Ich wage mal zu behaupten, daß ein Unternehmen, das nur auf Gewinnmaximierung aus ist und dabei über Leichen geht, gar nicht auf die Idee kommen würde mit uns eine engere Zusammenarbeit anzufangen.

Bedenket die Möglichkeiten

Zu guter Letzt soll ein Blick auf die Möglichkeiten geworfen werden, die sich aus einer Kooperation zwischen der DPSG und Unternehmen ergeben, welche neuen Chancen aus so einer Zusammenarbeit erwachsen können. Es ist ja nicht so, daß nur Unternehmen alles besser machen, nur weil sie über mehr finanzielle und personelle Mittel verfügen als die DPSG. Eigeninitiative und Selbständigkeit, geschultes Verantwortungsbewußtsein, ein lebendiger Sitzungsstil, wahre Kritikfähigkeit, echter Teamgeist, unermeßliche Kreativität, gepaart mit einer fundierten Ausbildung ist sicherlich bei uns eher anzutreffen als bei einem Unternehmen. Nichtsdestotrotz werden diese Fähigkeiten, wie Personalverantwortliche immer wieder betonen, im Unternehmen gewünscht. Man ist bereit für Schulungsangebote Tausende von DMark auszugeben, um diese Fähigkeiten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beizubringen. Wir haben also keinen Grund uns und unsere Fähigkeiten angesichts der finanziellen Potenz des Unternehmens zu verstecken.

Wagt es!

Ich denke, wir sollten das Wagnis eingehen und den Versuch unternehmen, in Kooperation mit der Wirtschaft zu treten. Wahrscheinlich kann die DPSG nur dann zukunftsfähig bleiben, wenn eine gesunde finanzielle Basis geschaffen wurde. Wir sind daher darauf angewiesen mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Aber das - und das sage ich mit aller Deutlichkeit - nicht um jeden Preis. Dann, wenn wir nicht in unserer Arbeit eingeschränkt werden, dann wenn wir unsere Identität aufs Spiel setzen oder wenn wir unseren guten Ruf und Glaubwürdigkeit verlieren, dann wäre eine Zusammenarbeit fatal, und letztlich der Sargnagel für unsere verbandliche Arbeit.

Jedoch dort, wo echte Partnerschaft und Zusammenarbeit gewährleistet ist, wo ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen möglich ist, sollten wir uns nicht verschließen. Auch in einer Kooperation mit einem Unternehmen sollten wir versuchen "...die Welt ein bißchen besser zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben!"

1 Die Auswertung der Umfrage ist beim BDKJ Referat Jugendverbände und Unternehmen erhältlich.

Stefan Caspari, Diözesanvorsitzender

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